Inszenierungen bedienen sich verschiedener Räume und funktionalisieren sie für die spezifischen Aufführungen. Die Funktionalisierung des Raumes in der Inszenierung kann jedoch auf sehr unterschiedliche Weise geschehen. Bei Räumen, die schon von sich aus eine spezifische (nicht-theatrale) Funktion innehaben, kann die Inszenierung sich auf genau diese Funktionalität beziehen. Die zwei vorgestellten Inszenierungen D’Annunzio über Wien von Robert Quita und Mein Kampf von Hubsi Kramer und Tina Leisch machen so beide funktionale Zuschreibungen ihrer Aufführungsorte für die Inszenierung wirkkräftig. Jedoch unterscheiden sie sich markant darin, wie diese vor-theatrale Funktion dann theatral umfunktioniert wird.

Auf der einen Seite steht D’Annunzio über Wien. 2005 im Flugzeugsportzentrum Spitzerberg inszeniert, spielt das gesamte Geschehen in der Flugzeughalle des Geländes. Die Halle bildet einen großen, dunklen, einförmigen Raum in dem Begrenzungen nur durch Licht und die sich durch den Raum bewegenden Darsteller*innen geschaffen werden. Die unbeleuchteten Räume zwischen den Figuren wirken leer und die Figuren lassen sich auch immer nur in Bezug auf diese sie umgebende Leere wahrnehmen. Gleichzeitig befinden sich Zuschauer*innen wie auch Akteur*innen jedoch im selben Raum, im selben Kontext. Die Flugzeughalle umschließt alle und stellt sie in einen gemeinsamen Kontext; nämlich den des Fliegens. Hier wird also der Ort der Inszenierung zu einem Assoziationsraum rund um die Thematik des Fliegens. Die räumlichen und narrativen Auslassungen zwischen den Figuren müssen von den Zuschauer*innen selbst gefüllt werden. Der Raum zwischen ihnen ist metaphorisch wie real leer.

Auf der anderen Seite steht die Inszenierung von Mein Kampf aus dem Jahr 2002. Kramer und Leisch inszenieren das Stück von George Tabori im Obdachlosenasyl in der Meldemannstraße, in der gleichen Institution in der Adolf Hitler selbst einen Großteil seiner Zeit in Wien wohnte. Hierdurch versucht die Inszenierung eine Beziehung zwischen der nachgestellten Aktion und der historischen Situation zu schaffen. Der Aufführungsort ist als ein großer Schlafsaal im historischen ‚Männerheim‘ aufbereitet.[1] Die Zuschauer*innen sitzen zwischen und auf den Betten und die Akteur*innen bewegen und spielen vor, zwischen und neben ihnen. Sie bewegen sich dabei durch den Raum. Es soll hierbei durch eine Verbindung aus Aufführungsort und Inszenierung eine fiktionale Historizität geschaffen werden, die eine spezifische (Vor-)Zeitlichkeit für die Inszenierung erzeugt. Der Ort des Männerheimes gilt hierbei quasi als Garant für eine Authentizität des Dargestellten, abseits davon wie realistisch dieses Dargestellte ist. So wird in dieser Inszenierung die Funktion des Ortes ganz dezidiert für einen bestimmten dokumentarischen Duktus instrumentalisiert.

Wo bei D’Annunzio die Funktion des Raumes zur Konotierung der Inszenierung ausgenützt wird, instrumentalisiert Mein Kampf diese für einen ganz spezifischen Zweck. Die Umfunktionierung, die hierbei vorgenommen wird, zeichnet sich nicht zuletzt durch ihr Verhältnis zu einer Denkfigur von Walter Benjamin aus. Dieser etabliert in seinem Text „Der Autor als Produzent“ den Begriff der Umschmelzung parallel zu Brechts Begriff der Umfunktionierung. Die Umschmelzung ist hierbei ein Konzept, das schon rein begrifflich fließend ist. Verschiedene Dinge treten in die „heißglühende Masse“ ein und werden, zu einem neuen Kontext verschmolzen, wieder gesellschaftlich wirkkräftig.[2]

So tritt etwa die Funktion der Flugzeughalle fließend in die Inszenierung von D’Annunzio ein (zusammen mit den historischen Figuren, Den Schauspieler*innen, den Zuschauer*innen, dem Text, der Regie, etc.) sie verfestigt sich jedoch nicht zu einem spezifischen Zweck (oder wird für diesen verfestigt) sondern bleibt flüssig, bleibt offen für Assoziationen und Reflektionen der Wahrnehmenden.

Andererseits ist Mein Kampf ganz spezifisch – wieder mit Benjamin gesprochen – auf eine bestimmte Tendenz fixiert. Die Inszenierung will vermittels des Ortes an dem sie stattfindet eine bestimmte Aussage treffen. Ihr Zweck ist diese Aussage, nicht der Prozess über den diese Aussage getroffen wird. Und so verhärtet sich hier eben das Potential des Raumes hin zu einer spezifischen Aufgabe.

Der kritische Freiraum, der sich aus dem Spannungsverhältnis zwischen den verschiedenen funktionalen Ebenen des Raumes, theatral und nicht-theatral, historisch und aktuell, bieten würde kann hierbei nicht ausgeschöpft werden. Kritik über Anleitung ist nicht Krtik, sie braucht eben die Pause, die Unterbrechung.[3] Während bei D’Annunzio die Nutzung des Raumes eine kritische Haltung keineswegs garantiert, macht sie sie doch möglich. Bei IMein Kampf erstickt diese Möglichkeit im Sumpf der reinen Tendenz.

 

Endnoten

[1] Selbst schon eine Fiktion, da das Männerheim Einzelzimmer hatte.

[2] Vgl. Benjamin, Walter: „Der Autor als Produzent“. In: Walter Benjamin. Gesammelte Schriften, Bd. 2, Hgg. von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1977, S.683-701.

[3] Wie neben Benjamin etwa auch Alexander Kluge in seinen Fernsehgesprächen mit Joseph Vogl bemerkt hat. Vgl. Kluge, Alexander / Vogl, Joseph: „Kritik aus nächster Nähe“. In: Soll und Haben. Fernsehgespräche. Zürich/Berlin: diaphenes 2009, S. 7-21.