Bei einer Recherche[1] zum Repertoire des sogenannten Mädchenorchesters in Ausschwitz fiel die mehrfache Nennung eines Musikstückes auf: Robert Schumanns Träumerei. Die Träumerei ist Teil der Kinderszenen, einem Zyklus von kurzen, ursprünglich für das Klavier geschriebenen Miniaturen. Gerade die Träumerei, das siebte Stück dieses Zyklus, wird jedoch häufig für andere Besetzungen arrangiert.[2]

Von den Mitgliedern des Mädchenorchesters wird die Träumerei allerdings meist nicht in Isolation, sondern in Zusammenhang mit bekannten, hochrangigen SS Offizieren genannt. Anita Lasker-Wallfisch hebt hier einer Aufführung für Josef Mengele hervor:

„Außerdem mussten wir bereit sein etwas zu spielen, wenn SS-Leute in unseren Block kamen. Sie kamen meistens um sich von den ‚Strapazen‘ der Selektion zu erholen, bei denen sie entschieden, wer leben und wer sterben sollte. Bei einer solchen Gelegenheit spielte ich die Träumerei von Schumann für Dr. Mengele, den berüchtigten Lagerarzt.“[3]

Fania Fenélon weist im Kontext einer anderen SS Persönlichkeit auf die Träumerei hin:

„Aber das war sehr leicht, wenn die SS weinte. Zum Beispiel hat der Lagerkommandant Kramer geweint, wenn wir Träumerei von Schumann spielten. Kramer hat 24 000 Menschen vergast. Wenn er von seiner Arbeit müde war, kam er zu uns und hörte sich Musik an. Das ist das Unverständliche bei den Nazis gewesen, die konnten erschießen, morden und vergasen und nachher so sensibel sein. Wir waren keine Menschen für sie, wir waren Läuse. Wir waren eine Rasse, die man vernichten wollte.“[4]

Für Lasker-Wallfisch scheint es gerade der Kontrast zwischen diesen Menschen und dieser Musik zu sein, der sie irritiert: „Merkwürdig, dass Mengele überhaupt wusste, dass es so etwas gibt – ein Massenmörder“[5]. Hierin sieht sie eine spezifische Ambivalenz:

„Es wird immer wieder gefragt, was das auf mich für einen Eindruck gemacht hat. Es hat überhaupt keinen Eindruck auf mich gemacht. Ich schreibe nur über Mengele, weil es so eigenartig ist, wie diese Menschen, raffinierte Mörder, sich mit Musik, Schumann, Kinderszenen auseinandersetzen. Mengele hat die irrsinnigsten Experimente mit Zwillingen gemacht – und dann brauchte er ein bisschen Ablenkung, kommt sich die ‚Träumerei‘ anhören. Das Interessante daran bin nicht ich, er ist das Interessante. Diese Dichotomie: von quasi intelligenten Menschen, die solche Sachen gemacht haben.“[6]

Diese Spannung machte sich auch ein Beitrag des britischen Nachrichtenformates Newsnight zu Nutzen. Anita Lasker-Wallfisch wird hier interviewt während ihr Sohn Raphael Wallfisch – neben ihr sitzend – die Träumerei spielt.[7] Durch diese Konstellation wirkt der Beitrag höchst evokativ; sowohl Musik als auch Interview werden hier ganz gezielt zur Erzeugung bestimmter Emotionen und einer bestimmten Stimmung instrumentalisiert. Doch wie Lasker-Wallfisch selbst sagt: „Die Deutschen haben viel kaputt gemacht, aber Musik ist nicht kaputtzumachen.“[8] Es wird also wohl auch die BBC nicht schaffen.

 

Endnoten

[1] Vielen Dank an Janina Piech für die gemeinsame Recherche, auf die dieser Beitrag aufbaut!

[2] Vgl. www.henle.de/de/schumann-jahr-2010/schumann-forum/die-traeumerei.html; Zugriff: 13.02.2015.

[3] Lasker-Wallfisch: Ihr sollt die Wahrheit erben, S. 132.

[4] Kammertöns: „Ensemble der Hölle“, Seite 4.

[5] Gessler: „Musizieren, um zu leben“.

[6] Jelcic: „Angst war das Normale“, Frage 10.

[7] Newsnight. Holocaust Memorial Day. The Cellist of Auschwitz; www.youtube.com/watch?v=u79aHGIASfQ.

[8] Jelcic: „Angst war das Normale“, Frage 9.

 

Quellen