Ein Gutteil der Spannung im Film Film[1] entsteht aus dem Verhältnis von Kamera und Protagonisten. Der Protagonist ist ein Beobachteter, in einem inner-diegetischen, einem vorfilmischen aber auch einem Kino-dispositiven Sinne.

Vorfilmisch ist dies Buster Keaton dessen Lebensinhalt aus dem Beobachtet-werden besteht. Es ist sein Beruf – als Filmschauspieler – sich vor Menschen und Maschinen zu präsentieren, mit dem einzigen Ziel diese Präsentation dann über maschinelle Reproduktion möglichst vielen Menschen zugänglich zu machen. Die Beobachtung selbst also zu reproduzieren.

Innerhalb des Kino Dispositives beobachtet das Publikum dann ein Bild, das sich von dieser Beobachtung unabhängig, immer gleich verhält. Es läuft – von technischen Pannen abgesehen – in der immer selben Abfolge, innerhalb der gleichen Zeitspanne und unter vergleichbaren Bedingungen ab. Der Protagonist kann sich nicht gegen diese Beobachtung wehren, ja er und seine Beobachtung existieren hier getrennt voneinander.

Inner-diegetisch aber fühlt sich der Protagonist umso stärker beobachtet und er will eben diese Beobachtung ganz dezidiert nicht. Er wehrt sich aktiv gegen sie. So verdeckt, vernichtet oder entflieht er Allem, das ihn Beobachtet, ja Allem, das ihn nur an seine potentielle Beobachtung erinnert. Und doch kann er einer Beobachtung nicht entfliehen: jener der Kamera, die ihn einfängt und – über die Zeit – millionenfach reproduziert, auf die Leinwände dieser Welt geworfen hat, wirft und werfen wird.

Das Spannungsverhältnis des Filmes entsteht nun in der Verselbstständigung dieser beobachtenden Kamera. Schon recht früh deutet sich an, dass sie keine unbeteiligte Beobachtende ist. Sie entwickelt rasch ein Eigenleben, antizipiert Bewegungen des Protagonisten, verpasst andere, sucht diesen als hätte sie ihn verloren. Mal sieht sie links wenn er rechts sieht, dann wieder folgt sie im unmittelbar. Den Großteil des Filmes befindet sie sich im Rücken des Protagonisten, scheint sogar bedacht darauf nicht in sein Blickfeld zu geraten.

Zugleich gibt es aber auch immer wieder Momente in denen der dargestellte Blickwinkel wechselt. Diese Momente zeichnen sich durch eine oft unscharfe Kameraführung, einen Blick auf Details, die der Protagonist gerade zu betrachten scheint, und Kamerabewegungen, die den Bewegungen des Auges des Protagonisten zu folgen scheinen, aus. Dem Publikum wird hier stark suggeriert dieser Blickwinkel sei der Blickwinkel des Protagonisten, sei eine subjektive Kamera, die gegenüber der subjektivierten, ihn verfolgenden Kamera einen zweiten, an den Protagonisten gebundenen Blickwinkel auf die filmische Diegese werfe.

Die Auflösung dieser filmischen Situation ist dann auch nur durch diese doppelte Kamera möglich. Als die Kamera nämlich aus dem Schatten des Protagonisten tritt, vor ihm und nicht mehr hinter ihm steht wird sie sichtbar, für den Protagonisten und damit für uns über den Blick des Protagonisten.

Dass diese dabei das Antlitz des Protagonisten annimmt, lässt sich gewiss vielfach interpretieren. Eine naheliegende Interpretation wäre jedoch sicher, dass sich hierin eine doppelte Identifikation des Publikums widerspiegelt. Einerseits eine Einfühlung des Publikums in die Situation des Protagonisten, der ja nur durch diese Einfühlung vom Objekt der Kamera zum Subjekt der Handlung werden kann. Und andererseits die – zumeist unreflektierte – Übernahme des filmischen Blicks, als dem eigenen Blick; die Anhaftung an den phantasmatischen Körper – wie Mary Ann Doane dies beschreibt – der körperlosen Kamera.[2] Dass diese doppelte Identifikation dann eben in einer Gleichsetzung dieses phantasmatischen Körpers mit dem beobachteten Körper mündet ist also nur folgerichtig und führt zu einem weiteren ironischen Schluss von Film: Der Dargestellte existiert immer nur in Reflexion auf sich selbst. Nur solange er dargestellt wird, solange er eben doch beobachtet wird existiert er innerhalb des filmischen Raumes. Dieser Beobachtung zu entkommen, hieße der eigenen Existenz zu entkommen, eben sich selbst zu entkommen.

Vielleicht lässt sich auch so die Rahmung des Filmes verstehen, die Detailaufnahme des Auges. Das Eintauchen und Untertauchen in dieses Leinwand-füllende Bild des Auges, hat etwas mythologisch Narzisstisches.[3] Gleich wie Narziss in seinem Spiegelbild ertrinkt, ertrinkt der Protagonist, ertrinkt die Kamera, ertrinkt das Publikum in diesem Symbol der sie vereinenden, sie aber auch gleichzeitig trennenden Tätigkeit: des Sehens.

 

Endnoten

[1] Film. Kurzfilm, USA 1965, Regie: Alan Schneider, Drehbuch: Samuel Beckett, Mit: Buster Keaton. [Etwa hier zu sehen: https://www.youtube.com/watch?v=aZtV-iHeQd0; Zugriff: 09.03.2015]

[2] Vgl. Doane, Mary Ann: „The Voice in the Cinema. The Articulation of Body and Space.“ In: Rosen, Philip (Hg.): Narrative, Apparatus, Ideology. A Film Theory Reader. New York: Columbia University Press 1986, S. 335 – 348.

[3] Vgl. Ov. met. 3, 3339-3510.
Titelbild ist ein Filmstill aus dem Film Film, USA 1965. Via: www.criticalcommons.org.